Logotherapie und Beratung
Logotherapie ist immer dann angezeigt, wenn Menschen in einen Zustand geraten, in dem sie ihr Leben als sinnlos erleben. Dies muss sich nicht immer im Zusammenhang einer psychischen Störung ereignen. Dies kann in jeder schweren Lebenskrise vorkommen, wenn Menschen einen Schicksalsschlag hinnehmen müssen, leiden müssen, um ihren Arbeitsplatz, einen Partner oder gar um ihr Leben kämpfen müssen. Therapie ist orientiert an signifikanten Störungen: Neurosen, Psychosen, Persönlichkeitsstörungen, Psychosomatosen. Beratung ist orientiert an Menschen, die psychisch gesund sind, sich aber in einer sehr schwierigen Lebenssituation befinden und der Hilfe bedürfen, die kritische Situation zu bewältigen. Man sollte nicht jeden Menschen, der in eine schwierige Lebenssituation geraten ist und sie nicht unmittelbar meistern kann, als psychisch gestört abqualifizieren. Leben hat prozessualen Charakter. Sein Prinzip ist Wandlung. Wandlung zeigt sich als Auflösung einer alten Lebensform und Gewinn einer neuen Lebensform. Zwischen der Auflösung einer alten Form und der Begründung einer neuen befindet sich der Mensch im relativen Chaos. Sowohl äußerlich als auch innerlich. Dieser Zustand ist nicht neurotisch, vielmehr völlig normal. Die puberale Ablösephase kann in diesem Zusammenhang als klassisches Beispiel dienen: Eine alte Lebensform, die des Großkindes, ist in Auflösung begriffen, und zwar in allen Dimensionen: leiblich, psychisch, geistig. Eine neue Lebensform, die des jungen Erwachsenen, ist noch nicht gefunden. Dazwischen herrscht relatives Chaos. Der Zweifel und das Leiden an einer alten Lebensform, das Aufbrechen und die Auflösung dieser Form, das Streben, eine neue Lebensform zu gewinnen, sind Lebensprozesse, die nicht auf die jungen Jahre begrenzt sind.
Vielmehr Prozesse, die sich durchs ganze Leben hindurchziehen können. Lebensformen im persönlichen oder beruflichen Bereich können so starr geworden sein, dass Auf-Bruch angezeigt ist. Ein sinnvolles Spiel des Lebens kann sich nicht mehr ereignen, weil eine ursprünglich tragende Form in Leben tötenden Formalismus umgekippt ist. Die alte Form muss gesprengt werden, weil sie keine Sinnerfahrungen mehr zulässt. Eine neue Form muss begründet werden, eine Form, in der sich neues, vitales, sinnvolles Leben ereignen kann. Das Leiden an einer Sinn verstellenden Lebensform spiegelt sich im Innern des Menschen als das, was Viktor Frankl existentielles Vakuum oder existentielle Frustration nennt. Es handelt sich um eine psychische Missbefindlichkeit, in die immer mehr Menschen, vor allem auch in den reichen Industrienationen, geraten, weil sie trotz der Fülle von Lebensmitteln keine tragende Lebensmitte mehr finden können. Natürlich kann dieser Zustand bei einer entsprechenden psychophysischen Disposition der betreffenden Person in eine neurotische Störung umschlagen. Frankl nennt diese Störung noogene Neurose: durch lang anhaltende Sinndefizite ausgelöste neurotische Störung. Aber dieser Umschlag muss nicht geschehen. Die Anzeichen existentieller Frustration sind, Frankl zufolge, gesunde psychische Signale dafür, dass im Leben des Betroffenen etwas nicht stimmt. Es handelt sich gleichsam um psychischen Schmerz, der, wie jeder Schmerz, den Imperativ der Überwindung seiner selbst in sich trägt. Soll heißen: Der Betroffene muss entdecken, dass er im Augenblick kein Lebensthema hat, das zu verfolgen ihm als lohnend erscheint. Will er aus der psychischen Missbefindlichkeit des existentiellen Vakuums heraus, wird er sich auf die Suche nach einer lebensthematischen Mitte begeben müssen.
Forschungsperspektiven
Man bemüht sich im Rahmen der Psychotherapie und Psychiatrie seit langem um eine Systematik der Störungen. Außerdem im Zusammenhang von Therapiemanualen um die Darstellung derjenigen Interventionsformen, die geeignet sind, psychische Krankheiten möglichst schnell und möglichst nachhaltig zu heilen. Man vergleiche dazu beispielsweise die „Internationale Klassifikation psychischer Störungen“ der Weltgesundheitsorganisation (ICD 10). Auffallend ist, dass es dasselbe im Bereich der Lebensprobleme nicht gibt. Es gibt zwar eine unübersehbare Fülle von Veröffentlichungen zu einzelnen Lebensproblemen, aber keine diesbezügliche Systematik. Man sollte der Frage nachgehen, welches die immer wieder auftretenden, typischen Lebensprobleme sind. Wie sie sich in den einzelnen Lebensphasen darstellen. Wie sie erfahrungsgemäß optimal zu bewältigen sind. Welche Hilfestellungen vonseiten des Beraters sich als besonders wirksam erwiesen haben. Welche Bedeutung in diesem Zusammenhang der logotherapeutischen Intervention zukommt.
„Das Sinnvolle ist nicht immer das Angenehme.”
Viktor Frankl