Logotherapie als Psychotherapie

 

Logotherapie – nicht zu verwechseln mit Logopädie – ist sinnzentrierte Psychotherapie. Ihr Begründer, der international bekannte Psychiater und Neurologe Prof. Dr. Viktor Frankl, stellt die Erkenntnis ins Zentrum seines Denkens, dass der Mensch seinem Wesen nach wert- und sinnorientiert ist. Wird der Wille zum Sinn nachhaltig frustriert, so gerät der Mensch in eine Missbefindlichkeit, die eine Fülle von Fehlerlebensweisen, Fehlverhaltensweisen und neurotischen Störungen auslösen kann: Arbeitsunlust, Depressionen, Lebensmüdigkeit, Süchte, Apathie, Langeweile, nihilistische Anschauungen, noogen-neurotische Störungen und vieles andere.

Immer mehr gesunde und kranke Menschen, besonders der reichen Nationen, geraten in den Zustand der existentiellen Frustration: d.h. sie sind unfähig, einen Sinn in ihrem Leben zu entdecken und zu realisieren: weder im Privatleben, noch im Arbeitsleben, noch im Freizeitleben. Hier ist Sinnentdeckungshilfe zu leisten. Und zwar so, dass der Betroffene – im Vor-Blick auf seine objektive Situation und Rück-Blick auf seine spezifischen Fähigkeiten – seine ureigensten Sinnmöglichkeiten entdecken und verwirklichen kann. Entscheidend ist dabei, dass der Therapeut keine Sinnmöglichkeiten vorschreibt, vielmehr den Patienten zur eigenständigen Sinnentdeckung und Sinnverwirklichung freisetzt. Auf diese Weise aber wird die in der psychotherapeutischen Szene vielfach vernachlässigte Dimension des Geistes für den Heilungsprozess fruchtbar gemacht. Das aber heißt: Der Mensch wird nicht allein als psychosomatisches Wesen wahrgenommen: als Wesen, das Triebkonflikte (S. Freud) lösen muss, vielmehr vor allem als Wesen, das für seine Lebensgestaltung Verantwortung übernehmen und schöpferisch sein kann: in den Dimensionen der Kultur, Moralität, Technik und Religion und in den Grundrelationen: in der Beziehung des Menschen zu sich selbst und zum anderen Menschen, in der Beziehung des Menschen zur Natur und zum künstlichen Kosmos: zu Kultur und Zivilisation.

Im Rahmen der berufsbegleitenden Ausbildung in Logotherapie werden nicht nur logotherapeutische Spezialkenntnisse vermittelt. Es geht uns darum, eine breit fundierte Ausbildung anzubieten. Aus diesem Grund werden zum einen auch psychotherapeutische Basiskompetenzen vermittelt. Zum anderen wichtige Erkenntnisse und nachweislich effektive Methoden aus anderen bedeutenden Schulen.

Ein besonderes Anliegen ist es uns, die Ausbildung unter wissenschaftlichem Aspekt auf dem derzeit höchstmöglichen Niveau zu halten. Das heißt: die Inhalte immer wieder an den Erkenntnissen der internationalen empirischen Psychotherapie-Forschung zu überprüfen und entsprechend weiterzuentwickeln.

Logotherapie ist im Prinzip ressourcenorientierte Psychotherapie. Natürlich geht es in ihr auch um die Beseitigung von Störungen, vorrangig noogen-neurotischer Art. Aber im Prinzip geht es niemals allein darum, Störungen, die aufgrund lang anhaltender Sinndefizite entstanden sind, zu beseitigen. Es geht vielmehr besonders darum, so mit dem Patienten zu kommunizieren, dass er sich als sinnfühliges Wesen wieder wahrnehmen kann, sofern seine Sinnorientiertheit und Sinnfühligkeit verschüttet sind. Und dies, um den Patienten freizusetzen, die konkreten Sinnmöglichkeiten seines Lebens zu entdecken: im Blick auf seine Person in ihren spezifischen Anlagen und Fähigkeiten und im Blick auf die ihm vorgegebene Lebenssituation, in die er eingebunden und für die er verantwortlich ist. Psychotherapeutischer Erfahrung entspricht es, dass eine Fülle psychischer Störungen verschwindet, sofern ein Patient wieder eine lebensthematische Mitte gewinnt. Soll heißen: eine Lebensaufgabe, die seinen persönlichen Fähigkeiten und zugleich dem Aufforderungscharakter seiner konkreten Lebenssituation entspricht. Eine Lebensaufgabe, die zu bewältigen bedeutet, dass ein Mensch diejenigen Sinnmöglichkeiten realisiert, die zu realisieren ihm „in personaler Exklusivität“ (Frankl) abverlangt sind. Entscheidend ist, dass der Patient sich nicht vorrangig von der Frage „was bringt mir mein Leben?“, vielmehr von der Frage leiten lässt: Was erwartet das Leben jetzt, in dieser konkreten Situation, von mir persönlich? Demzufolge geht es darum, den Patienten für den sinnorientierten Aufforderungscharakter seiner je eigenen Lebenslage zu sensibilisieren. Dies setzt voraus, dass sich der Patient nicht vorrangig unter negativem, vielmehr unter positivem Aspekt wahrzunehmen lernt. Nicht unter dem Aspekt, was er alles nicht kann, nicht hat. Vielmehr unter dem Aspekt, was er trotz allem hat und kann. Aufseiten des Therapeuten ist in diesem Zusammenhang eine positive Erwartungshaltung unabdingbar. Natürlich auch die Fähigkeit, den Patienten nicht allein unter dem Aspekt seines Fehlerlebens und Fehlverhaltens wahrzunehmen, vielmehr besonders auch unter dem Aspekt all der positiven inneren und äußeren Möglichkeiten und Fähigkeiten, die ihn und seine Lebenssituation kennzeichnen, also in ressourcenorientierter Absicht. Dies ist in psychotherapeutischer Hinsicht deshalb so wichtig, weil die einseitige Störungsorientierung am Grundinteresse des Patienten vorbeigeht. Wie ist das zu verstehen? Der Patient hegt in der Regel ein doppeltes Interesse. Ein vorrangiges und ein nachrangiges. Die Falle der Therapie besteht darin, dass der Patient normalerweise das nachrangige Interesse formuliert, das vorrangige verschweigt. Natürlich will er seine Störung loswerden. Das aber ist sein nachrangiges Interesse. Vorrangig ist sein Interesse, diejenigen positiven Lebensziele zu verwirklichen, die in ihrem Zusammenspiel den Lebensentwurf des betreffenden Menschen ausmachen. Das aber sagt er zunächst nicht. Wovon er berichtet, sind die Störungen. Entscheidend ist, dass der Therapeut weiß, dass er die Störungen vor allem deshalb loswerden will, um wieder fähig zu werden, den je eigenen positiven Lebensentwurf realisieren zu können. Deshalb muss sich der Therapeut im Sinne komplementärer Beziehungsgestaltung nicht allein aufs Negative – die Störung –, vielmehr nachdrücklich aufs Positive – den Lebensentwurf – konzentrieren. Der Therapeut sollte vom Patienten als einer erlebt werden, der ihm dabei hilft, immer deutlicher derjenige zu werden, der er eigentlich gerne sein möchte. Die Motivation, an der Entstörung zu arbeiten, ist im Wesentlichen in der Fundamentalmotivation menschlicher Existenz begründet; nämlich: man selbst zu werden. Wesentlich zu werden. Konzentration auf den Lebensentwurf, Entdeckung eines u. U. verschütteten Lebensentwurfs aber bedeuten immer Entdeckung von Sinn. Denn im Entwurf wird Sinn anschaulich. Logotherapeutische Intervention ist in dieser Hinsicht immer schon an der existentiell zentralen Absicht des Menschen orientiert.

Forschungsperspektiven

Therapeuten, die vorrangig störungsorientiert arbeiten, lassen sich von Interventionsformen leiten, die nachweislich optimal bei einer bestimmten Störung sind. Therapeuten, die vorrangig ressourcenorientiert arbeiten, lassen sich von den individuellen subjektiven und objektiven Lebensmöglichkeiten eines Patienten beim Entwurf der therapeutischen Intervention bestimmen. Optimal ist es, Störungsorientierung und Ressourcenorientierung so miteinander zu verbinden, dass daraus eine maßgeschneiderte Therapie erwächst. Was fehlt, ist eine Systematik der Ressourcen, welche als heuristisches Instrument zur Entdeckung derselben dienen könnte. Außerdem gilt es der Frage nachzugehen, was „maßgeschneiderte Intervention“ im logotherapeutischen Feld bedeutet.


Wenn wir nicht länger in der Lage sind, eine Situation zu ändern, sind wir gefordert, uns selbst zu ändern.”

Viktor Frankl

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